Dysarthrien im Kindesalter erfordern ein spezifisches Vorgehen

Eine Dysarthrie ist eine angeborene oder erworbene, neurologisch bedingte Sprechstörung, die durch eine Schädigung im Gehirn, Rückenmark oder der Hirnnervenkerne verursacht wird. Eine gestörte Sprechmuskulatur (zu schlaff, steif, unkoordiniert oder ungewollte Bewegungen) führt zu einer undeutlichen Aussprache. In der Atmung (verkürzte Ausatemdauer), im Stimmklang (z.B. Heiserkeit, Rauigkeit oder Nasalität), in der Sprechmelodie (Monotonie) oder im Sprechrhythmus (abgehackt oder verlangsamt) können ebenfalls Auffälligkeiten vorhanden sein. Eine im Kindesalter erworbene Dysarthrie kann verschiedene Ursachen haben (z.B. angeborene Fehlbildungen des Gehirns, Schädelhirntrauma, Hirntumore, frühe Infarkte, genetische Syndrome wie beispielsweise Trisomie 21 oder eine Cerebralparese=Gehirnlähmung: Die Hirnschädigung wird hier vor, während oder nach der Geburt erworben, usw... ). Mehr als 50.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden unter einer Dysarthrie, welche die Kommunikation (Probleme in Aussprache, Wortschatz, Satzbau), Interaktion und soziale Teilhabe (z.B. Aufbau sozialer Kontakte) im Alltag (Kindergarten, Schule oder Arbeitsplatz) erschweren kann. Häufig kommen auch andere Begleiterscheinungen hinzu, wie z.B. Sehbeeinträchtigungen, Beeinträchtigungen des Denkens, Hörstörungen, eingeschränkte Bewegungsfähigkeit (z.B. der Hände durch Lähmungen). Aus diesen Gründen sollte mit einer sprachtherapeutischen Diagnostik und Therapie so früh wie möglich begonnen werden. Doch bisher wurden kaum Methoden für die Diagnostik und Therapie entwickelt, die für die Behandlung dysarthrischer Kinder passend sind (welche auch die kindliche Entwicklung berücksichtigen, z.B. anatomisch-physiologische Besonderheiten wie das Wachstum der am Sprechen beteiligten Organe, die kindliche Gehirnentwicklung, die Denkentwicklung oder entwicklungsbedingte Unterbrechungen des Redeflusses). Es existieren jedoch zwei Maße, die eine spezifische Dysarthriediagnostik noch ergänzen können und die physiologische Sprachentwicklung von Kindern berücksichtigen: Im „Communication Function Classification System“ wird die alltäglichen Kommunikationsleistung einer Person mit Cerebralparese eingeschätzt und in der „Viking Speech Scale“ wird beurteilt, wie gut sich ein Kind mir Cerebralparese im Alltag verständlich machen kann. In einigen Therapiestudien konnte nachgewiesen werden, dass bestimmte Verfahren wie „Lee-Silverman-Voice-Treatment“ (eigentlich nur für Erwachsene entwickelt), „PROMPT“ (eigentlich nur für die kindliche Sprechapraxie entwickelt) oder der „Therapieansatz von Pennington, Roelant et al.“ (2013) auch bei kindlichen Dysarthrien effektiv sein können. Das Lee-Silverman-Voice-Treatment- Verfahren ist für mehrfach behinderte Kinder am leichtesten umzusetzen, da es hier primär um die Erhöhung der Sprechlautstärke geht. In Studien konnte bewiesen werden, dass sich dieses Verfahren (LSVT) für kindliche Dysarthrien sehr gut eignet, da es die Lautstärke erhöht und Sprechverständlichkeit (Artikulation) verbessert. Des weiteren können Materialien und Methoden aus der Dysarthriebehandlung mit Erwachsenen sowie aus der Therapie von Sprachentwicklungsstörungen für die Behandlung dysarthrischer Kinder angepasst und kombiniert werden. Kinder mit schwer ausgeprägten Kommunikationsstörungen profitieren von unterstützenden Kommunikationsmitteln (z.B. Kommunikationstafeln, elektronische Sprachausgabegeräte, „Talker“ usw.). Es müssen also noch spezifische Methoden entwickelt werden, welche die Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse mehrfach behinderter Kinder berücksichtigen.

 

 

(Quelle: „Dysarthrien bei Kindern“ von Dr. Theresa Schölderle, Elisabet Haas und Prof. Dr. Wolfram Ziegler, S.16-20 im Forum Logopädie, Mai 2018)

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