Kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken in der Stottertherapie
Viele Stotternde haben ständig den Drang, ihr eigenes Sprechen zu kontrollieren, da sie große Angst davor haben, sich zu blamieren. Deshalb denken Sie beispielsweise auch über Vermeidungsstrategien oder eine neue Sprechtechnik nach. Sicher ist, dass eine Vielzahl der Stotternden unter schweren psychischen Folgeschäden leidet. Jemand, der seit seiner Kindheit über Jahre hinweg stottert, hat durch die vielen Stresssituationen ein höheres Risiko, eine psychische Störung zu entwickeln. Aber gegenüber welchen psychischen Störungen sind Stotternde besonders anfällig?
Soziale Angst/Phobie: Jeder zweite Stotterer leidet unter dieser Phobie. Wer an sozialer Phobie leidet, ist extrem schüchtern und gehemmt. Da er unsicher ist, sind ihm eigene Fehler viel peinlicher als den Zuhörern. Er macht sich von den negativen Bewertungen seiner Mitmenschen abhängig und vermeidet daher Situationen (z.B. das Ansprechen anderer Personen), die für ihn peinlich werden könnten.
Depression: Wer unter einer Depression leidet, erlebt lange Phasen schlechter Stimmung, Freudlosigkeit und Antriebslosigkeit. Begleitet werden diese Symptome oft von Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Appetitverlust. Bei einem stotternden Menschen kann die Depression Folge einer sozialen Phobie sein. Wer sich oft zurückzieht, knüpft keine Freundschaften und erlebt Stimmungseinbrüche. Auch das häufige Empfinden von Schuld und Scham sowie Selbstvorwürfe können zu einer Depression führen, da der Betroffene sich selbst abwertet und sein Selbstwertgefühl gering ist.
Persönlichkeitsstörungen: Betroffene zeigen ein unflexibles und sozial unangepasstes Verhalten, was zu Problemen in der Interaktion mit anderen Menschen führen kann. Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung haben eine extremes Verlangen, ihre Kompetenzen (z.B. Intelligenz oder Kreativität) besonders hervorzuheben und dafür von ihren Mitmenschen bewundert zu werden.Es wird vermutet, dass die narzisstische Persönlichkeitsstörung bei Stotternden gehäuft vorkommt. Wegen ihrer Sprechunflüssigkeiten können also viele Stotterer ein starkes Bedürfnis entwickeln, sprechunabhängige Fähigkeiten besonders zu betonen. Wenn eine ungünstige Kombination mit genetischen und sozialen Faktoren vorliegt, kann sich daraus eine Persönlichkeitsstörung entwickeln. Ob ein sich psychisch schlecht fühlender Stotter-Patient vielleicht unter einer psychischen Störung (z.B. soziale Phobie, Persönlichkeitsstörung oder Depression) leidet, kann nur ein Psychologe feststellen. Die Logopädin dagegen ist Spezialistin für die Behandlung von Sprechunflüssigkeiten und hat auch einige Techniken für die Behandlung von Angst und Vermeidung anzubieten.
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken (Techniken zur Veränderung kognitiver und emotionaler Prozesse) können in der logopädischen Stottertherapie ebenfalls angewendet und mit Stottermodifikationstherapien oder mit Fluency-Shaping- Ansätzen kombiniert werden.
1. Verhaltensanalyse: Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen des Patienten, die mit dem Stottern, der Angst oder dem Rückzug in Verbindung stehen werden analysiert.
2. Verhaltensexperimente: Der Patient könnte beispielsweise angeleitet werden, gezielt schwierige Situationen aufzusuchen, von denen er besonders negative Zuhörerreaktionen erwartet. Hier soll er auf Anzeichen negativer Abwertungen achten und diese aufschreiben. Die Logopädin macht dem Patienten deutlich, dass die Zuhörerreaktionen nicht so drastisch ausfallen müssen wie vom Patienten befürchtet und dass eine starke Verunsicherung nicht eintreten muss. Der Patient kann dabei bestimmten Fragen nachgehen, z.B. „Reagieren Passanten tatsächlich mit einem genervten Blick, wenn ich stottere?“
3. In einem offenen Gespräch zwischen Therapeut und Patient sollen Kognitionen (in Verhaltensanalysen wurden sie herausgearbeitet) verändert werden, indem über deren Realitätsangemessenheit diskutiert wird („Ist das wirklich so?“, „Was spricht dafür, was dagegen?“, „Tut es Ihnen gut, immer daran zu denken?“). Aus dieser Diskussion sollen neue Kognitionen entstehen, die weniger belastende Gefühle beinhalten. Diese neuen, realitätsangemessenen und funktionalen Denkmuster soll sich der Patient in Sprechsituationen immer wieder vergegenwärtigen.
(Quelle: Dr. Johannes von Tiling im Forum Logopädie Heft 2, S. 20- 25, März 2013)